Und wo arbeiten Sie so?
Für die einen ist das Pendeln zur Arbeit Zeitverschwendung. Die anderen lieben das Büro. Wo sonst finden sie Gespräche und Begegnung? Eine Reise in die neue Arbeitswelt.
In der Konzernzentrale der Otto Group hat man sich schon vor der Pandemie dazu entschieden, neue Wege zu gehen: Einzelbüros verschwanden, die Großraumbüros der 1990er Jahre wurden zu Working-Spaces mit Namen wie "Collabor8", samt Kaffeemaschinen, Sofas mit Steckdosen und Telefonkabinen. Mit Räumen für Austausch und kreative Prozesse, mit Rückzugsorten für konzentriertes Arbeiten. "Wir haben mit hohem Aufwand die Möglichkeiten zum hybriden Arbeiten geschaffen, durch Umstrukturierung der Büros, durch mobile Endgeräte und entsprechende Software", erklärt Petra Scharner-Wolff, die als Konzern-Vorständin bei der Otto Group den Bereich Personal verantwortet.
Die Erfahrungen zahlten sich in den Corona-Jahren aus. Rund die Hälfte der weltweit über 43.000 Mitarbeitenden blieb zeitweise im Homeoffice. "Dass dies gut geklappt hat, verdanken wir unserer Haltung, die auf Vertrauen und dem Mut für Neues beruht", sagt Scharner-Wolff. Eine Kombination aus Präsenz und Remote-Arbeit ist ihr Zukunftsmodell. Studien legen nahe, dass ein bis drei Tage Homeoffice pro Woche Arbeitszufriedenheit und Produktivität fördern. Die meisten Mitarbeitenden empfinden den Gang ins Büro als wichtig, etwa um im Team zu arbeiten oder sich persönlich mit Kollegen auszutauschen. Der Wechsel zwischen Büro und heimischem Schreibtisch galt schon vor der Pandemie als Zukunftsmodell. Allerdings sahen auch optimistische Fachleute noch einen weiten Weg vor sich. Laut Statistischem Bundesamt arbeitete im Jahr 2019 noch nicht einmal jeder Zehnte gelegentlich von zu Hause aus – und das, obwohl damals schon jeder zweite Beschäftigte theoretisch hätte mobil arbeiten können. Im Frühjahr 2020 wurden dann ganze Belegschaften auf einen Schlag ins Homeoffice versetzt: 2021 nutzten 25 Prozent aller Beschäftigten die Möglichkeit zum Homeoffice. Bei IT-Unternehmen und Versicherungen lag die Quote sogar bei 70 Prozent.
"Natürlich müssen wir eine langfristige Entwicklung abwarten. Aber Befragungen in Unternehmen deuten an, dass die meisten weiterhin hybride Arbeitsmodelle anbieten möchten", sagt Dr. Yvonne Lott, New-Work-Expertin bei der Hans-Böckler-Stiftung. Das wünschen sich auch viele Beschäftigte. Knapp die Hälfte aller Befragten hält die Kombination aus Homeoffice und Büro für einen Gewinn, haben Umfragen ermittelt. Wegfallende Arbeitswege lassen mehr Zeit für Freizeitbeschäftigungen und Familie. Die Organisation des Alltags – Arzttermine, Hobbys oder Schulveranstaltungen – fällt leichter, wenn sich die Arbeitszeit flexibler gestalten lässt.
In den USA wäre sogar jeder dritte IT-Spezialist bereit zu kündigen, müsste er zwangsweise ins Büro wechseln. "In Zeiten des Fachkräftemangels müssen die Unternehmen den Mitarbeitenden entgegenkommen, auch mit flexiblen Arbeitsmodellen", sagt Lott. Mit Auswirkungen auf die Arbeitswelt von morgen.
Das Büro als Ort der Begegnung
Das klassische Büro wird nicht aussterben, ebenso wenig werden die meisten Menschen permanent am Küchentisch arbeiten wollen. "Aber die Funktion der Büros könnte sich verändern", erklärt Arbeitsexpertin Lott. Das Büro wird sich zu einem Ort wandeln für den direkten Austausch und kreative Prozesse. Erste Anzeichen für diesen Wandel zeigen sich bereits. An vielen Orten reduzieren Firmen ihre Büroflächen. Gleichzeitig entstehen Co-Working-Spaces – auch in Kleinstädten und in den Speckgürteln der Großstädte. Selbst ländliche Regionen werben mit guter Infrastruktur und schnellem Internet. Der moderne Arbeitnehmer strebt ins (Teil)Homeoffice. Jeder Vierte sagte in einer Umfrage des Fensterbauers Velux, wegen des Arbeitens im Homeoffice schon umgezogen zu sein, oder überlegt gerade, dies zu tun.
Arbeitsschutz auch im Homeoffice
Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert neben dem Recht auf Homeoffice auch eine Verpflichtung zum Arbeits und Gesundheitsschutz durch den Arbeitgeber, denn die Arbeit im Homeoffice ist nicht immer gut für die Gesundheit: weniger Bewegung, mehr Pfunde, mehr Rückenschmerzen. Auf die Arbeitsbedingungen im Homeoffice muss der Arbeitgeber schauen, das weiß auch Otto-Vorständin Scharner-Wolff: "Als Führungskräfte müssen wir noch viel mehr fragen, was wir Mitarbeitenden über den reinen Job hinaus an Unterstützung bieten können." Für Unternehmen sei es wichtig, die Mitarbeitenden etwa vor der Entgrenzung von Arbeit und Privatleben zu schützen.
Im Homeoffice ergeben sich deutlich weniger Gespräche darüber, wie es dem Gegenüber geht, was ihn oder sie beschäftigt. Otto baute während der Pandemie die Initiative mindful@otto aus: Psychische Belastungen und mentale Gesundheit der Mitarbeitenden thematisiert man etwa in Form von Seminaren und Vorträgen oder in niedrigschwelligen Beratungsangeboten. Ähnliche Initiativen laufen auch bei Firmen wie SAP oder Google. Ein positiver Nebeneffekt dieses Engagements: Die Führungskräfte bekommen einen wacheren Blick für Gesundheitsaspekte. Vielleicht setzt sich dann ja auch die Erkenntnis durch, dass Überstunden und abendliches Mailschreiben in der zukünftigen Arbeitswelt genauso überholt sind wie die Dauerpräsenz im Büro.
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