Die gereizte Frau
Frauen über 40 haben sie und die meisten von ihnen schweigen darüber. Die Menopause scheint in der Gesellschaft nicht vorzukommen. Miriam Stein räumt auf mit dem letzten Tabu der Frauengesundheit. Die Wechseljahre gehen alle an, Frauen und Männer. Ein Gastbeitrag.
Es gibt Regeln für Frauen in Sachen Körper und Weiblichkeit, vor allem für den öffentlichen Umgang mit dem nicht erotischen Anteil des Frauseins. Diese Regeln stehen nirgendwo festgeschrieben, sie gehen auf in dem, was "sich gehört" und "was man macht". Dazu gehört nicht sichtbar menstruieren, öffentlich stillen oder noch schlimmer, im mittleren Alter über hormonelle Veränderungen klagen, das nervt. Ein alter Freund findet die Vorstellung seltsam, die Wechseljahre im Bekanntenkreis zu besprechen. Als ich erwidere, dass er auch über seinen Bandscheibenvorfall klage, antwortet er: "Naja, das ist etwas anderes. Ich spreche ja auch nicht über Durchfall."
Ist das der Gegenwert? Hormonelle Veränderungen in den Wechseljahren haben die gleiche Öffentlichkeitswirkung wie Durchfall? Die Antwort darauf, warum nun Bandscheibenvorfälle salonfähig und Wechseljahre in die Toilette gesperrt gehören, blieb mein Freund mir schuldig. Aber ich weiß es natürlich: Menopause gleich Periode gleich Toilettenthema. Dabei betrifft die Menopause nicht nur den weiblichen Zyklus, sondern mitunter das gesamte Körpergefühl.
Vielleicht weniger radikal als eine Schwangerschaft, aber mindestens so sehr wie die Pubertät, kann der Hormonabfall bei Frauen eine regelrechte Achterbahn an Befindlichkeits und Symptomchaos auslösen, von Stimmungsschwankungen bis zu krankheits ähnlichen Symptomen. Dazu gehören neben den bekannteren Symptomen wie Hitzewallungen oder Zyklusproblemen auch Herzrhythmusstörungen, Schlafprobleme oder Erschöpfung.
Miriam Stein arbeitet als Journalistin und Buchautorin und lebt mit ihrer Familie in Berlin. Sie wurde 1977 in Südkorea geboren und wuchs als Adoptivkind in einer deutschen Familie auf. Sie hat mit Christoph Schlingensief und Rimini Protokoll Theater gemacht, schrieb zehn Jahre für die "Süddeutsche Zeitung" und ist heute Kulturchefin der deutschsprachigen Ausgabe von "Harper's Bazaar". Ihr Buch zum Thema Wechseljahre, "Die gereizte Frau", ist kürzlich erschienen.
In der Gynäkologie nur ein Randthema
Viel unangenehmer als diese Malaisen ist die gesellschaftliche Resonanz: Frauen sollen all das mit sich allein ausmachen, weil der Alltag nicht für diese "Zustände" gemacht scheint. Zu Hause nerven die "gereizten Frauen", im Arbeitsleben gelten sie als nicht belastbar. Eine Frau im mittleren Alter erlebt mitunter eine Turbozündung aus PMS-Beschwerden und der öffentlichen Reaktion darauf. Ein echtes Horrorszenario.
Unser medizinisches Versorgungssystem bietet nur bedingt Abhilfe. Im Grundstudium kommen die Wechseljahre gar nicht vor, in der Gynäkologie nur als Randthema. Der Schwerpunkt der Frauenmedizin liegt auf der Geburtsheilkunde. Am Ende der Fruchtbarkeit bleiben wir Frauen ohne angemessene medizinische Begleitung. Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte können für eine Beratung in Sachen Wechseljahre nur eine geringe Gebühr abrechnen. Die Forschung zu Menopause und Frauen im mittleren Alter hat überhaupt erst Fahrt aufgenommen, seit die "Women’s Health Initiative" Studie 2003 herausfand, dass eine hoch dosierte Hormontherapie bei Frauen Krebs oder Herzinfarkte begünstigt. Lange Zeit galt der männliche Körper in der Medizin als Standard, nur hat der dummerweise keine Eierstöcke, keine Gebärmutter, keine Periode, kein PMS, keine Endometriose und keine Wechseljahre.
Solange die Wechseljahre, die auf die ein oder andere Art und Weise alle Frauen betreffen, medizinisch untergeordnet und gesellschaftlich als Privatsache abgetan werden, können sich die Bedingungen für Frauen in und nach der Menopause nicht ändern. Das hilft niemandem. Denn unsere Gesellschaft wird älter und mehr Frauen kommen in die Wechseljahre.
Am Arbeitsplatz ein Tabu
Das Unternehmen Vodafone hat im vergangenen Jahr als erster Großkonzern eine eigene Studie zur Menopause als Teil eines umfassenden Vorsorgepakets für Mitarbeiterinnen in Auftrag gegeben. Laut dieser Studie werden im Jahr 2025 weltweit eine Milliarde Frauen in den Wechseljahren sein, das entspricht zwölf Prozent der Gesamtbevölkerung. Und 66 Prozent der deutschen Frauen sagten in dieser Studie, dass die Symptome ihre Arbeitsfähigkeit beeinflussen. Knapp die Hälfte der Frauen empfinden es als Tabu, am Arbeitsplatz über diese Symptome zu sprechen.
Als Resultat der Studie führte Vodafone ein konzernweites Programm für Frauen in der Menopause ein. Die Frauen können wählen: gleitende Arbeitszeit, Ventilatoren am Arbeitsplatz oder auch Aufklärungsgespräche. Eine Sonderbehandlung ist das nicht – schließlich stehen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Rückenproblemen auch Stehtische zu. Diverse Unternehmen in Großbritannien folgten dem Beispiel - Channel 4 und die Bank Santander führten ähnliche Maßnahmen ein. Löblich, in jedem Fall. Aber nicht ausreichend. Meiner Meinung nach sind Vorsorge und Behandlung der Wechseljahre nicht nur ein Thema der Privatwirtschaft. Die Gesellschaft muss in die Pflicht genommen werden, damit alle betroffenen Frauen bestmöglich aufgeklärt und behandelt werden. Es geht die Hälfte aller Menschen direkt und die andere Hälfte indirekt an. Schweigen wird einfach nicht mehr funktionieren.