Waldbaden
Raus! Eintauchen in die Natur! Draußen sein! Grillen zirpen. Nadeln piksen. Vögel zwitschern. Äste knacken. Blätter rauschen. Es riecht erdig und harzig. Die Sonne streichelt mein Gesicht, wenn sie durch die Zweige blitzt. Ich bade im Wald!
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Ich bade im Wald? Ja. Ich bin mittendrin. Schmecke die wilden Heidelbeeren. Rieche das Moos. Spüre die frische Luft und sauge die ätherischen Öle der Bäume durch die Naselöcher ein. Glücksgefühle breiten sich aus. Mein Mund steht auf Dauergrinsen. Wie schön das Leben ist. Ich könnte schreien vor Glück.
"Na, schrei doch!", ruft mir Heidi Heigl zu und lacht. "Hier hört dich keiner. Nur die Tiere und Pflanzen. Und die stört es nicht." Ich bin im Sonnenwald in der niederbayerischen Region Donau-Wald inmitten des Bayerischen Waldes. Der nächste erreichbare Ort ist Zenting im Landkreis Freyung-Grafenau. Dort sind Heidi Heigl und ich am Morgen gestartet. Die 52-Jährige ist heute mein Naturcoach und begleitet mich beim Waldbaden. Mit ihr tauche ich ein in die wunderschöne Natur dieses Landstrichs und lasse mich auf das Experiment ein.
"In der Natur kommen die großartigsten Gedanken und Ideen", Heidi Heigl streicht sich eine Lockensträhne aus dem Gesicht. "Die totale Freiheit im Wald, ohne Begrenzung von Wänden, regt die Kreativität an. Hier engt nichts ein." Und Kreativität ist es, die ich brauche, um im neuen Lebensabschnitt durchzustarten. Nach mehr als 15 Jahren habe ich meinen Job im öffentlichen Dienst gekündigt. Nicht einfach so. Wohlüberlegt. Nach abwägen aller Fürs und Wieder. Nach vielen Gesprächen und Beratungen. Und nach vielen Tränen.
Mich hat es selbst überrascht, doch diese grundlegende Veränderung in meinem Leben warf mich erstmal aus der Bahn. Zweifel kamen und gingen. Immer nachts. Dann kam auch die Angst. Der neue Weg lag noch nicht klar vor mir.
"In solchen Situationen ist die Natur der beste Lehrmeister." Heidi Heigl läuft in gleichmäßigen Schritten neben mir her und öffnet ihren Notfallkoffer.
Ich blicke nickend zu ihr rüber. Logisch! Kenne ich vom Joggen. "Die frische Luft und die Bewegung erzeugen ein wohliges Gefühl. Jetzt wird unser Kopf frei für neue Inspiration."
Die Atmosphäre des Waldes sollte jetzt meinen Geist beflügeln und ihre heilsame Wirkung auf meine zweifelnden Gedanken auslösen. "Wir nehmen jetzt Vitamin Grün auf", lacht Heidi Heigl. "Der Wald ist Balsam für Körper und Seele."
Vor allem geht es darum, nicht zu hetzten.
Mein Coach dreht sich nach rechts, verlässt den Weg und steigt mit mir ins Dickicht. "Das große Glück liegt im Kleinen", meint die empathische Beraterin, geht in die Hocke und zupft ein Kleeblatt ab und reicht es mir. "Wir können von der Natur so viel lernen und auf unser Leben übertragen." Wir staunen gemeinsam über eine Schnecke, die sich gemächlich ihren Weg durch den Wald bahnt. "Schau nur", sagt Heidi Heigl. "Ist das nicht wunderbar, dass sie alle Zeit der Welt hat, um an ihr Ziel zu gelangen." Ich verstehe den Wink. Entschleunigung passiert im Wald ganz automatisch.
Das Waldbaden zeigt nach drei Stunden Weg seine Wirkung. Mein Gehirn beginnt anders zu arbeiten. Die Sinnesorgane laufen zu Höchstform auf. Ich sehe, fühle, schmecke anders im Wald. Oder bilde ich es mir nur ein? "Nein", lacht mein Naturcoach. "Das ist doch klar. Du schaust in deinem Alltag doch ständig auf den Computerbildschirm oder auf dein Smartphone. Das ist für deine Augen Höchstarbeit. Hier draußen können sie sich erholen und anders sehen. Das ist für sie Wellness pur."
Der Autor und Wirtschafts-Coach Jörg Romstötter geht noch weiter. "Es ist schlicht schwer, im Alltag zu bestehen und uns aus dem quirligen Strom herauszunehmen und es zuzulassen, da draußen in der hastenden Welt einfach mal nicht dabei zu sein. Nur ist das die einzige Möglichkeit, seinen eigenen, gesunden, kreativen und kraftvollen Tritt zu finden", schreibt er in seinem Buch "Das vergessene Wunder". Die Japaner haben die Waldtherapie bereits in den 1980er Jahren entdeckt, heute gehört sie zum Gesundheitssystem. An Hochschulen des Landes wird erforscht, welche Lösungen der Wald für stressbedingte Krankheiten parat hat.
Ich fühle mich gestärkt. Doch es kommt noch besser. Heidi Heigl breitet eine Decke aus. Es gibt Pfefferbretzn, Radieschen, Tomaten, Käse, Paprika. Eine echte Brotzeit draußen auf einer Waldlichtung. Es schmeckt herrlich. Und dann…. schlafe ich ein. Einfach so. Und ganz schnell. Ich bin tiefenentspannt. "Der Schlaf ist die wichtigste Quelle für unsere Energie", erklärt Heidi Heigl als ich wieder aufwache. Ich bin erfrischt und fühle mich wie neugeboren. Es kann weiter gehen.
Wir erreichen einen Waldabschnitt mit mannshohen Felsbrocken. Überdeckt mit dunkelgrünen Flechten und Klee. Ein mystischer Ort. Das ist der Gruselsberg. Ich sinke auf den Boden, lehne mich an einen der Steine und nehme die Atmosphäre in mir auf. Wir schweigen. Die Kraft des Ortes ist unbeschreiblich. Was für eine Energie. Wir schweigen weiter. Das Schweigen ist leise. Es beginnt zu regnen. Wir werden nass. Egal. Meine ganze Aufmerksamkeit gilt in diesem Moment der Natur. Die Alltagsgedanken sind wie weggeblasen. Ich nehme alles so intensiv war, dass die Einsicht zwangsläufig kommt. Der Wald hat seine volle Kraft entfaltet. Ich höre in mich rein. Klarheit und Friede.
empfiehlt mir Heidi Heigl auf dem Rückweg. "Sich spüren, vielleicht bei einer Tasse Tee, bei guter Musik und einem Buch. Das können kleine Oasen sein." Eine große Kraftquelle habe ich für mich an diesem Tag entdeckt. Der Kontakt zum Wald hat mich gelassen gemacht und demütig. Heidi Heigl hat mir dabei geholfen, den Schatz aus der Natur zu heben.
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