Seelisches Gleichgewicht
Der schmale Grat zwischen Traurigkeit und Depression
Kummer, Trauer, Traurigkeit oder auch Depression werden oft durcheinander geworfen. Tatsächlich ist es schwierig, zu erkennen, wo "normale" Trauer als gesunde Reaktion auf einen Verlust oder Schicksalsschlag aufhört und eine depressive Erkrankung, die aus eigener Kraft nicht mehr bewältigt werden kann, anfängt. Ab wann Hilfe notwendig ist und welche Unterstützungsmöglichkeiten es gibt, beantwortet Diplom-Psychologe Thomas Voigt im Interview.
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Traurig, niedergeschlagen, entmutigt – wie normal sind solche Gefühle?
Die Trauer ist eine Emotion, genauer eine Basisemotion. Emotionen bilden ein entwicklungsgeschichtlich sehr altes Verhaltensregulativ. So reguliert beispielsweise die Angst, dass wir uns nicht allzu leichtsinnig in Gefahren begeben, die Wut macht uns energischer, um gegen ein Hindernis vorzugehen, und die Trauer führt dazu, dass wir innehalten und Verluste verarbeiten können. Emotionen sind also per se sinnvoll und hilfreich. Die Trauer ist in diesem Sinne eine normale Reaktion auf erlittene Verluste.
Niedergeschlagenheit und Entmutigung stellen sich ein, wenn wichtige Ziele als unerreichbar bewertet werden. Menschen reagieren auf diese Weise in der Regel nach (mehrmaligem) Scheitern. Die Wahrscheinlichkeit, ein gewünschtes Ziel zu erreichen, wird als zu gering und ein weiteres Bemühen darum als sinnlos erachtet. HIer wird ein zentrales Symptom depressiver Störungen deutlich: der Motivationsverlust.
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Wie ist der Übergang zwischen Traurigkeit und depressiver Verstimmung?
Eine Trauerreaktion lässt sich als Krise verstehen, in der sich der Mensch neu organisieren und sich an die neue Situation anpassen muss. Menschen unterscheiden sich hinsichtlich dieser Fähigkeit zur Neuanpassung. Einigen gelingt es relativ schnell, eine derartige Krise zu überwinden. Diese "Fähigkeit" wird als Resilienz bezeichnet. Anderen gelingt es nicht so leicht, eine Krise zu überwinden. Derartige Probleme werden als Anpassungsstörungen bezeichnet. Dauert dieser Prozess zu lange an, kann das durch die Entwicklung einer Depression begründet sein.
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Gibt es Anzeichen, die ziemlich sicher für eine Depression sprechen?
Eine Depression wird dann diagnostiziert, wenn Betroffene über einen Zeitraum von mindestens 14 Tagen dauerhaft spezifische Symptome haben. Hierzu zählen neben dem bereits erwähnten Motivations- oder Interessenverlust auch der Verlust an Freude und gedrückter Stimmung. Wichtig ist, eine organische Ursache auszuschließen, zum Beispiel eine Fehlfunktion der Schilddrüse. "Die eine Depression" gibt es nicht. Vielmehr bilden depressive Störungen eine Störungsgruppe mit unterschiedlichen Entstehungs- sowie aufrechterhaltenden Bedingungen und auch verschiedenen Symptomen.
Der Experte

Thomas Voigt ist Diplom-Psychologe und hat sich auf die Prävention von psychischen Störungen spezialisiert. Im Rahmen seiner "Präventionsschule" vermittelt er Menschen lebensweltspezifische Kompetenzen im Umgang mit den jeweiligen Anforderungen und Belastungen.
Daneben engagiert er sich ehrenamtlich in zahlreichen sozial- und gesundheitspolitischen Gremien sowie in einschlägigen Vereinen und Verbänden mit dem Ziel der Verhältnisprävention.
Aufgrund seiner eigenen Erfahrung mit der Depression sowohl als Betroffener als auch als Angehöriger engagiert er sich ganz besonders in der Deutschen Depressions Liga e.V., deren stellvertretender Vorsitzender er derzeit ist.
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Wo kann ich mir Hilfe suchen, wenn ich mit der Bewältigung eines Problems oder einer Erfahrung allein nicht weiterkomme?
Die diagnostische Abklärung und möglichst frühzeitige Behandlung sind von zentraler Bedeutung. Wer mit der Bewältigung von Belastungen Probleme hat bzw. unter den oben beschriebenen Symptomen leidet, sollte einen Arzt aufsuchen. In der Regel ist der Hausarzt hier die erste Anlaufstelle. Es kann aber auch gleich ein Facharzt für Psychiatrie (Psychiater) oder eine psychologische Psychotherapeutin aufgesucht werden.
Weitere niederschwellige Hilfen bieten Beratungsstellen, Online-Beratung im Internet, Telefon-Seelsorge oder entsprechende Selbsthilfegruppen vor Ort. In dringenden Fällen (z.B. bei Suizidgefahr) kann man sich auch an den Sozialpsychiatrischen Dienst wenden oder auch den Notarzt oder die Polizei rufen.
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Wie kann ich am besten helfen oder reagieren, wenn ich merke, dass jemand bedroht ist, in eine Depression zu geraten?
Angehörige von Patienten mit einer depressiven Störung sollten sich zunächst klarmachen, dass sie nur helfen, aber keinesfalls heilen können. Oft versuchen sie durch "gutes Zureden" oder auch "Liebe" das Problem zu lösen. Depression ist eine ernste Erkrankung, die man in der Regel nicht durch gutgemeinte Ratschläge kurieren kann. Wichtig ist, dem Patienten immer wieder zu signalisieren, dass man ihm hilfreich zur Seite steht, dass das eigene Erleben eine Erkrankung und kein persönliches Versagen ist und dass diese behandelbar ist.
Abgesehen von diesen patientenorientierten Hilfen sollte ein Angehöriger auf seine eigenen Belastungsgrenzen achten, denn der Umgang eines Angehörigen mit einem schwer depressiven Menschen führt nicht selten dazu, dass dieser selbst depressiv wird.
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